Annie Oakley – US-amerikanische Kunstschützin (1860 – 1926)
Paradebeispiel für die neue Rolle der Frau im Wilden Westen

Beitrag von Gisela Wensing, Pulheim

Annie Oakley, eigentlich Phoebe Ann Moses, wurde 1860 als fünftes von acht Kindern einer verarmten Quäkerfamilie in einer ländlichen Region im Westen Ohios geboren. Als sie sechs Jahre alt war, starb der Vater und ließ die Familie mittellos zurück. Ihre Mutter gab sie und teilweise auch ihre Geschwister in fremde Farmerfamilien, wo sie für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten. Ihren Erzählungen nach wurde sie dort seelisch und körperlich misshandelt, sie riss mehrfach aus und lebte schließlich als Näherin auf einer Armenfarm. Nach der erneuten Heirat ihrer Mutter kehrte Anniezu ihrer Familie zurück.

Sie entwickelte früh eine überdurchschnittliche Begabung für das Schießen, das sie sich mit dem alten Gewehr ihres Vaters selbst beibrachte. Bereits mit acht Jahren jagte sie erfolgreich Kaninchen und andere Wildtiere. Sie verdiente damit schließlich Geld und konnte als Trapperin ihre Familie ernähren. Sie belieferte Lebensmittelläden und Hotels der Umgebung mit Wild. Bereits nach fünf Jahren konnte sie mit ihren Einkünften die Schulden der Familie tilgen.

Als Jugendliche trat sie als Kunstschützin auf, nahm an Schießwettbewerben teil und wurde bald  überregional bekannt. 1879 besiegte sie bei einem Wettbewerb den berühmten Kunstschützen Frank Buttler. Dieser war so beeindruckt von der zehn Jahre jüngeren Frau, dass er ihr wenig später einen Heiratsantrag machte. 1882 soll die Hochzeit stattgefunden haben.

Jetzt lernte Annie von ihrem Mann Lesen und Schreiben und holte ihre Schulbildung nach. Während Annie zunächst weiter bei ihrer Mutter lebte, ging ihr Mann als Kunstschütze und Hundedresseur auf Tournee. 1882 traten beide zum ersten Mal gemeinsam im Zirkus auf. Sie gab sich den Künstlernamen Annie Oakley. Neben ihren Schießkunststücken zeigte Annie auch ihr Talent als Kunstreiterin.

Den Häuptling der Sioux-Indianer, Sitting Bull, lernte Annie bei einer Vorstellung in St. Paul in Minnesota kennen. Von ihrem damenhaften Auftreten als Kunstschützin und -reiterin soll Sitting Bull so angetan gewesen sein, dass er ihr den Namen „Little Sure Shot“ ( Kleine Meisterschützin ) gegeben hat. Annie schneiderte sich ihre Bühnenkostüme selber, zeigte sich betont weiblich, um als Frau  mit Gewehr akzeptiert, aber nicht als Bedrohung empfunden zu werden.

1885 wurden Sitting Bull und die Buttlers für die Buffalo Bill Wildwest-Show engagiert. In dieser Show gelangte Annie Oakley im von Männern dominierten Bereich Kunstschießen zu Weltruhm. Ihr Mann zog sich von der Bühne zurück und wurde zu ihrem Manager und Assistenten .
 
Annie Oakley reiste 17 Jahre lang als Hauptattraktion der Buffalo Bill-Show durch die Welt. Augenzeugen und Kollegen berichteten, sie habe auf der Bühne wie „eine präzise eingestellte Maschine agiert, sobald sie ein Gewehr in die Hand nahm“ ( Wikipedia ). Aus 30 Schritt Entfernung traf sie in die Luft geworfene Würfel, kleine Glaskugeln und Spielkarten. Auch soll sie ihrem Mann eine brennende Zigarette aus dem Mund geschossen haben. Während sie in einen Spiegel schaute, traf sie weit entfernte Ziele in ihrem Rücken. Noch heute werden entwertete Eintrittskarten in den USA wegen der eingestanzten Löcher „Annie Oakleys“ genannt.

Annie Oakley wurde ein internationaler Star. Sie ging auch mehrfach in Europa auf Tournee. Zu ihren Bewunderern gehörten Queen Victoria und Oscar Wild, der italienische König, der russische Zar, Papst Leo XIII und Kaiser Wilhelm II., dem sie eine Zigarette aus der Hand geschossen haben soll.

Annie Oakley engagierte sich aber auch politisch zugunsten von Frauenrechten, sie forderte u.a. gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Recht für Frauen, Waffen zur Selbstverteidigung zu tragen. Sie bildete Frauen im Umgang mit Waffen aus und bot in einem Brief vom 5. April 1898  Präsident Wilson eine von ihr ausgebildete Truppe von 50 weiblichen Scharfschützen für den drohenden Krieg gegen Spanien an. Dazu kam es allerdings nicht.

 Bei einem Zugunglück 1901 wurde Annie Oakley schwer verletzt; sie war teilweise gelähmt und zog sich aus der Buffalo Bill-Show zurück. Nach einigen Operationen hatte sie sich so weit erholt, dass sie bei Schießwettbewerben noch weitere Rekorde aufstellen konnte. Sie trat auch als Kunstschützin in Theaterstücken auf. 1922 hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann einen schweren Autounfall, von dem sie sich dann nicht mehr erholte. Am 3. November 1926  starb Annie Oakley im Alter von 66 Jahren in North Carolina, ihr Mann Frank Buttler starb 18 Tage später.

Oakleys Leben wurde in Romanen, Comics und Filmen nacherzählt. In dem Film „Annie Oakley“ von 1936 wurde sie von Barbara Stanwyck dargestellt, 1976 verkörperte Geraldine Chaplin in „Buffalo Bill and the Indians“ ihre Rolle. Darüber hinaus existieren zahlreiche Biographien über sie. Auf dem amerikanischen Spielzeugmarkt erinnert eine Actionfigur an sie, ebenso wie eine Spielfigur im Westernset, herausgegeben von Playmobil.

Ein musikalisches Denkmal setze ihr 1946 der Komponist Irving Berlin mit seinem Musical „Annie get your gun“, in dem er sehr frei ihre Lebensgeschichte darstellt.

Annie Oakley benutzte bei der Demonstration ihrer Schießkünste mindestens drei Langwaffen: Eine „Stevens 416 Heavy Barrel Rifle“ in Kaliber .22 long rifle, eine „Marlin-Rifle Modell 1891“ im Kaliber .22 short und eine Kastenschloss- Schrotflinte  von William Cashmore aus Birmingham.

Die Firma Stevens Arms wurde 1864 von Joshua Stevens in Chicopee Falls im US-Bundesstaas Massachusetts gegründet. Ihr verdankt die Welt seit 1887 die Patrone „.22 long rifle“ ( oder in Deutschland „.22 lang für Büchsen“ [= .22lfB] ), welche noch heute die wichtigste Rolle bei den Kleinkaliberpatronen spielt und bei vielen Olympischen Disziplinen bis hin zum Biathlon Verwendung findet. Gleichzeitig stellte die Firma zahlreiche Sportwaffen her und bezeichnete sich daher im Jahre 1902 als „der Welt größter Produzent von Sportwaffen“.

Interessant ist, dass sein „Modell 416“ als „Militärwaffe“ - allerdings zum Übungsschießen - gedacht war. Demzufolge nutzte das US-amerikanische Militär dieses Gewehr zu Ausbildungszwecken bis in die Zeit des 2. Weltkrieges hinein.
Sein überlanger Lauf und der große Holzkolben gaben diesem Gewehr ein ordentliches Gewicht; Annie Oakley besaß eines dieser Gewehre und nutzte dabei einen besonders dicken Lauf („heavy barrel“), was sich positiv auf die Schusspräzision auswirkte.

Die Firma Stevens stellte zudem zwischen 1916 und 1917 für das Militär des zaristischen Russland über 770.000 Exemplare des russischen Ordonnanzgewehres „Mosin-Nagant“  her. Davon gingen aber lediglich rund 225.000 Stück an den östlichen Kriegsschauplatz in Mitteleuropa, da die US-Regierung den stattlichen Rest ankaufte. Diese leitete die Waffen dann an Weißrussische und Finnische Truppen weiter und rüstete nach dem Kriegseintritt im Juli 1917 seine American Expeditionary Forces u.a. auch mit diesen Mosin-Nagant-Gewehren aus. Mit dem immer noch ansehnlichen Rest wurde das Civilian Marksmanship Program durchgeführt, bei dem interessierte Zivilisten („Civilian“) in einem staatlichen Programm („program“) die Schießkunst („Marksmanship“) erlernen sollten.

John Marlin arbeitete zunächst bei der Firma Colt, bis er sich 1863 in New Haven, Connecticut, selbstständig machte. Ab 1872 trug seine Firma den Namen Marlin Fire Arms Company.

Zunächst stellte er Kurzwaffen her. Das erste Marlin-Gewehr erschien im Jahre 1881 in den großen Kalibern .40-60 und .45-70. Zehn Jahre später kam mit dem Modell 1891 die erste Kleinkaliberbüchse in den Kalibern .22 short und .22 long rifle ( später auch .32 ) auf den Markt, dem die kaum veränderten Modelle 1892 und 1897 folgten. Die Lauflänge der Gewehre konnte zwischen 24, 26 und 28 Zoll variieren, weiter gab es runde und achteckige Läufe. 


Diese Gewehre wurden bis 1915 gebaut, als sich die Firma der Herstellung von militärischen Gütern zuwandte. Erst nach dem 1. Weltkrieg erschienen 1922 und 1936 mit den Versionen 39 und 39A Weiterentwicklungen des Ursprungsmodells auf dem Markt ( andere Quellen nennen die Jahreszahlen 1913 oder 1921 und 1939 ). 

Am 10. März 1893 jagte Annie Oakley mit einer Marlin 1891 innerhalb von 27 Sekunden 25 Schuss durch ein danach etwas ausgefranztes, einziges Loch auf einer Schießscheibe; die Schussdistanz betrug dabei ca. 11 Meter.
Am selben Tag schoss sie freihändig mehrere Projektile durch ein einziges Loch im Zentrum einer Herz-Ass-Spielkarte.

Annie Oakley sorgt nach wie vor für Aufsehen
Die US-amerikanische Kunstschützin Annie Oakley sorgte nun auf einer Versteigerung des Auktionshauses James D. Julia erneut für Aufsehen.
Unter der Rubrik Sportwaffen wurde eine Flinte aufgerufen, die Oakley nachweislich für ihre Vorstellungen nutzte und mit der sie auf etlichen Bildern porträtiert wurde. Der Aufrufpreis lag bei 125000 US-Dollar. Der Höchstbietende ersteigerte die Kastenschlossflinte aus der Fertigung des mehrfach preisgekrönten Büchsenmachers William Cashmore ( Birmingham, England ) schließlich für 207000 US-Dollar. Diese Kastenschlossflinte ist nicht weiter zu spezifizieren, da es sich bei diesen Schrotflinten um Einzelanfertigungen handelte, die auf den Käufer zugeschnitten waren. Die Familie Cashmore war ein großer Clan von Waffenherstellern, von denen William für seine Schrotflinten zum Tontaubenschießen bekannt war. Er besaß zudem zahlreiche Patente auf Feuerwaffen. In einem Katalog von 1900 steht ein begeisterter Bericht von Annie Oakley über seine Flinte. Hergestellt wurde die Waffe Ende des 19. Jahrhunderts mit der Seriennummer 9270. Die Lauflänge beträgt 28“, die des Schaftes 15“.  Im Holz neben dem Abzugsbügel ist „Oakley“ eingebracht. Zudem sind auf der silbernen Daumenplatte die Initialen der Schützin graviert. Eine Sicherung wurde erst angebracht, nachdem Annie Oakley die Flinte bereits in Gebrauch hatte. Das Verschlussstück ist mit aufwendig gestalteten Gravuren versehen (DWJ 4/17 S. 6).

Quellen:
https://en.wikipedia.org/wiki/John_Mahlon_Marlin
www.leeroysramblings.com/Gun%20Articles/marlin_LA_rimfire_rifles.html
www.gunvaluesboard.com/the-marlin-model-1892/92-1652.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Annie_Get_Your_Gun_(Musical)
www.dwj.de/magazin/sammeln/details/items/annie-oakley-sorgt-nach-wie-vor-fuer-aufsehen.html https://en.wikipedia.org/wiki/Annie_Oakley
www.planetwissen.de/kultur/nordamerika/frauen_im_wilden_westen/pwiekunstschuetzinannieoakley100.html

Bild 1: A. Oakley mit ihrer Doppelflinte: https://www.planet-wissen.de/kultur/nordamerika/frauen_im_wilden_westen/pwiekunstschuetzinannieoakley100.html
Bild 2: https://de.wikipedia.org/wiki/Annie_Get_Your_Gun_(Musical)
Bild 3: Die Marlin Modell 1891: Quelle: www.gunvaluesboard.com/the-marlin-model-1892/92-1652.html?PageSpeed=noscript

Die Marlin Modell 1891

Quelle: www.gunvaluesboard.com/the-marlin-model-1892/92-1652.html?PageSpeed=noscript