Restaurierung einer Blankwaffe: Offizierssäbel (IOS) M/55

Vorher/nachher: Besonders die Klinge hat sehr unter der behutsamen Bearbeitung gewonnen.
Vorher/nachher: Besonders die Klinge hat sehr unter der behutsamen Bearbeitung gewonnen.

 

 

Es kommt schon ‘mal vor … das Telefon klingelt, eine Dame am anderen Ende bringt sich in Erinnerung: Vor Jahren habe sie erfahren, dass ich Waffen sammle, ja, und nun muss sie eine kleinere Wohnung beziehen und da kann sie die „Degen“, die seit über 50 Jahren in der Diele an der Wand hängen, nicht mitnehmen. Für die Mülltonne seien sie ja eigentlich zu schade, da ihr vor 20 Jahren verstorbener Mann sie nach dem 2. Weltkrieg von einem Freiherren von Hartmann geschenkt bekommen habe, aber wenn ich sie nicht wolle, dann wisse sie auch nicht weiter.

 

Nun, Blankwaffen sind zwar nicht mein Sammelgebiet, aber andererseits die Mülltonne …?!? Es widerstrebt mir, Geschichtsartefakte einfach über den Abfall zu entsorgen! Ein Besuch würde das Weitere sicherlich klären.

 

Die „Degen“ entpuppen sich bei Inaugenscheinnahme als 5 verschiedene Säbel und Degen, die – wie ich bei meinem Besuch erfahren konnte – tatsächlich bereits seit 1966 ununterbrochen an der Wand der Diele hängen.

 

Ein erster Blick zeigte sogleich, dass es sich hier keineswegs um „Touristenware“ handelt, d. h. um Blankwaffen, die vor allem in den Staaten des Mittelmeerraumes eigens als Souvenirstücke für Urlauber angefertigt wurden. Damit aber gewann die Geschichte an Wahrscheinlichkeit, die ihr Mann ihr wiederum berichtet hatte: Diese Blankwaffen stammten aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71.

 

Mehr konnte aber zunächst nicht zu den Stücken gesagt werden, da die vergangenen 5 Jahrzehnte für reichlich Patina gesorgt hatten. Und da ich nicht der Blankwaffenfachmann bin, blieb die weitere Bestimmung der Stücke einem Kundigeren vorbehalten.

 

Und die Scheiden? Die hatte ihr Ehemann im Keller aufbewahrt, aber bei einer Entrümpelungsaktion hatten sie wohl bereits Liebhaber gefunden: Sie waren leider nicht mehr vorhanden. Was sie dafür haben wollte? Nichts, denn in die Mülltonne gesteckt, hätte sie ja auch nichts dafür bekommen und nun sei sie sicher, dass die Waffen in „gute Hände“ kämen. Die dagelassene Begleitschrift zu einer unserer repräsentativen Ausstellungen sei ihr genug.

 

Was also tun? Natürlich alles vor der Mülltonne retten! Also einpacken und mit nach Hause nehmen.

 

Zu Hause angekommen musste eine Entscheidung betreffs der weiteren Verwertung gefällt werden: Eine der Blankwaffen wollte ich nun schon noch selber behalten – die Vorgeschichte verlangte geradezu danach -, aber da man sich beim Sammeln sehr leicht verzetteln kann, mussten die anderen Stücke neue Besitzer finden.

 

Ein Nachwuchsmann in unserem Sammlerkreis erhielt daher als Motivationsschub einen Säbel zur Selber-Restaurierung, die anderen drei Stücke gingen an einen der Blankwaffenexperten in unseren Reihen.

Der Säbel im Rohzustand:

Und dann an die Arbeit: Ein erster Schritt, um den Dreck der Jahrzehnte zu entfernen, geschah unter Verwendung einer Nagelbürste und heißem Wasser mit Spülmittel. Es floss reichlich schwarze Brühe in den Ausguss und – siehe da! - es kam eine Ätzung der Klinge ans Tageslicht!

In einem zweiten Schritt wurden dann mit Hilfe von Waffenöl, einer feinen Messingbürste sowie noch feinerer Stahlwolle und mit viel Geduld und Vorsicht noch immer anhaftender Schmutz und Rost entfernt. Mit jeder verstrichenen Minute trat die Ätzung deutlicher hervor, die Klinge verlor ihr schwarzes Kleid und auch das Gefäß erhielt einen neuen Glanz.

 

Die Eisenteile wurden danach erneut mit einem Waffen- und das Messinggefäß mit Knochenöl eingerieben und dann geraume Zeit in Ruhe gelassen. Erneute Bearbeitung mit den genannten Ölen – beim Gefäß mit einem Lappen und bei den Eisenteilen mit der Stahlwolle – machte Tage später zwar kein neues Stück aus dem Säbel, ließ ihn aber in vorher nicht erwartetem Glanz erstrahlen.

Nun stellte sich die nächste Frage: Was ist das überhaupt?

 

Zum Glück sind die Sammler vernetzt und zudem gibt es in unserem Kreis genügend langjährige und daher kompetente Sammler verschiedenster Interessenrichtungen, so dass eine modellmäßige Einordnung vorgenommen werden konnte.

 

Bei dem Säbel handelt es sich um den bayerischen Infanterie Offizierssäbel (IOS) M/55, bei dem der österreichische Säbel Muster 1850 Pate stand. Dieser Säbel wurde aber auch in Preußen – hier als Infanteriesäbel M1856 – eingeführt, zudem trugen Soldaten in Württemberg, Baden und der Schweiz ebenfalls diese Blankwaffe. Im Gegensatz zur bayerischen Ausführung, bei der das Gefäß meist aus Messing angefertigt ist, hatten die Säbel der anderen Staaten solche aus Eisen. Einige der bayerischen Säbel hatten sogar den bekannten „Löwenkopf“ als Griffabschluss – so wie das vorliegende Stück in allerdings einfacherer Form.

 

Auf den Klingen, die bis 1864 hergestellt wurden, findet man als Namenschiffre des damaligen Königs Maximilian II. (1848 – 1864) ein "M" unter der Krone, in den Jahren danach wurden der Buchstabe "L" als Zeichen seines Nachfolgers Ludwigs II. verwandt. Zudem wurde ab 1886 auf der Klinge der Zusatz "In Treue fest" angebracht.

 

Da dem vorliegenden Säbel dieser Zusatz fehlt und er das Chiffre „M“ unter der Krone trägt, muss er zwischen 1848 und 1864 angefertigt worden sein.

 

Leider hat der „Zahn der Zeit“ (sprich: „Rost“) der korbnahen Klingenpartie derart zugesetzt, dass das Herstellerzeichen nicht mehr zu erkennen ist.

 

Abmessungen:

Gesamtlänge ohne Scheide: 1005 mm

Klingenlänge: 875 mm

Gewicht: 810 g

 

Bei den anderen Blankwaffen, die ich bei der Dame mitnehmen durfte, handelt es sich um folgende Stücke:

 

1. Ehrensäbel des Königreiches Bayern für Tapferkeit in den Napoleonischen Kriegen (1805 – 1813)

2. Bayerischer Chevaulegerssäbel M 1826

3. Bayerischer Jägersäbel M/1837 (auch als Infanterie-Offizier-Säbel M/1836 bezeichnet)

4. Bayerischer Kürassierpallasch M/1891

 

Dabei ist festzuhalten, dass es sich allesamt um damals vom jeweiligen Offizier privat beschaffte Stücke handelt, die wiederum Kavalleristen zugeordnet werden können. Und eine Zuordnung zum Deutsch-Französischen Krieg ist durch die Modellbezeichnung für vier der Waffen vom Grundsatz her möglich.

 

Und was hat es mit dem „Freiherrn von Hartmann“ auf sich, von dem diese Blankwaffen stammen sollen? Da der Bezug zu Bayern mehr als offensichtlich ist, galt zunächst einmal, in dieser Richtung zu forschen.

 

In der Liste der Absolventen der Bayerischen Kriegsakademie (siehe https://www.wikiwand.com/de/Liste_der_Absolventen_der_Bayerischen_Kriegsakademie) finden sich beim 5. Lehrgang (1872 – 1875) die Einträge

„Ferdinand Hartmann (* 18. September 1846; † 11. Juli 1897) Eignung Höhere Adjutantur, letzter Dienstgrad Oberst“ sowie „Maximilian Hartmann (* 23. April 1848; † 29. Juni 1880), letzter Dienstgrad Oberleutnant“ und „1875 zur Disposition gestellt“ (d. h. aus dem aktiven Dienst ausgeschieden). Während von Maximilian nichts Weiteres nachzulesen ist, kann man erfahren, dass Ferdinand Hartmann vom 19. Juli 1891 bis 11. Juli 1897 Kommandeur des Chevaulegers-Regiments Nro. 6 war.

 

Erst beim 46. Lehrgang (1913 – 1914) taucht der Name „Hartmann“ wieder auf: Hier wird ein „Otto Hartmann (* 11. September 1884; † 10. Juli 1952), General der Artillerie“ erwähnt, von dem man erfahren kann, dass er der Sohn eines Richard Hartmann war. Von diesem ist wiederum nur bekannt, dass er zuletzt den Rang eines Generalmajors bekleidete.

 

Bei keinem der Hartmänner taucht jedoch der Zusatz „Freiherr von“ auf; zudem waren Ferdinand und Maximilian bereits lange verstorben, als der Ehemann der Dame das Licht der Welt erblickte. Ferdinand zumindest hatte aber eine Karriere bei der Kavallerie gemacht.

 

Geht man nun noch etwas weiter in die Vergangenheit zurück, so stößt man auf einen Jakob Michael Karl Hartmann (* 4. Februar 1795), der sich ab 1843 als „Ritter von Hartmann“ und ab 1871 sogar als „Freiherr von Hartmann“ anreden lassen durfte. Endlich ein (der?) Freiherr? Leider wohl nicht, denn der General der Infanterie der bayerischen Armee war bereits am 23. Februar 1873 verstorben, konnte aber noch als damals 75-jähriger den Deutsch-Französischen Krieg mitgemacht haben.

 

Also lässt sich die Aussage der Dame, dass ihr verstorbener Ehemann die Blankwaffen nach dem 2. Weltkrieg von einem Freiherrn von Hartmann geschenkt bekommen habe, keiner belegbaren Person zuordnen, denn der einzige greifbare „von Hartmann“ - Generalleutnant Alexander von Hartmann - war Sohn des preußischen Offiziers Heinrich von Hartmann. Und dieser Alexander von Hartmann war als Kommandeur der 71. Infanterie Division am 26. Januar 1943 bei den Kämpfen um Stalingrad gefallen (https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_von_Hartmann).

 

So wird sich dieser Teil der Geschichte wohl nicht mehr aufklären lassen.

Offizier Bayern mit Infanterie Offizierssäbel (IOS) M 55