Vom Umgang mit Sammlerwaffen

Detektivarbeit oder

Was macht eigentlich ein Sammler mit seinen Sammelstücken?

 

Beitrag von Egon Thiel

 

Es ist unerheblich, womit man sich sammlerisch beschäftigt. Am Anfang eines Neuerwerbes, egal ob es die Briefmarke des Philatelisten ist oder eine alte Schußwaffe eines Waffensammlers, steht die Untersuchung, Begutachtung und Bewertung des Neuzuganges bis zur Archivierung in der eigenen Sammlung.

So ist es nicht verwunderlich, dass der ernsthafte Sammler neben im Laufe der Jahre kontinuierlich gewachsenen Fachwissens, auch in der Regel etliche Regalmeter Fachliteratur zu seinem Sammelgebiet besitzt und ein Netzwerk mit Kontakten zu anderen Sammlern, auch für ihn fachfremder Sammelgebiete.

 

Hier einmal ein typisches Beispiel:

Nach Aufspüren des begehrten Sammelobjektes und Erwerb folgt also als Erstes die Untersuchung.

Hier ist es ein alter Polizeirevolver, hergestellt zwischen 1893 und 1914.

Die Modellbezeichnung des Verkäufers lautete auf Gendarmeriecorpsrevolver Dresden, Cal. .380. Neben einer Kennung G.C.D wies er zudem, ersten Annahmen zu Folge, ein deutsches Beschußzeichen „Krone R“ (oder doch „B“?) auf.
Der Revolver zeigt keinerlei Herstellerbeschriftung, was eine eindeutige Identifizierung und Zuordnung erschwert. Im eigenen Archiv finden sich jedoch ein Werbekatalog der Fa. „Alfa“ aus dem Jahr 1911, wo gleiche Stücke für 7,20 Reichsmark angeboten wurden:

Vom Modell her handelt es sich um eine ursprünglich in England von Webley entwickelte und 1872 erstmals hergestellte Waffe, welche, nachdem man dort den US-Absatzmarkt entdeckt hatte, unter dem Begriff „Bulldog -Revolver“ bekannt wurde. Da die Fertigung im Ursprungsland zu teuer war, ließ Webley Teile der Revolver später in Belgien fertigen.
Dieses Grundmodell wurde von vielen Werkstätten auf dem europäischen Festland kopiert und auch abgeändert. Deutschland taucht in den Artikeln der Internetrecherche jedoch nicht auf.
Typisch für einen in Deutschland jener Zeit hergestellten Revolver wären die auf der vorliegenden Waffe zu findenden deutschen Beschußstempel „Krone über R oder B.“. Ebenso so typisch für einen deutschen „Bulldog“ im Behördengebrauch wäre auch das Kaliber, 9mm oder auch Cal. .380. (hier handelt es sich um zwei unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dasselbe Kaliber.) Zudem sind in der Fachliteratur solche Stücke als Polizeiwaffen in Deutschland ausgewiesen.
Schauen wir also einmal genauer auf die Abnahmestempel:

Zu erkennen ist oben ein „Krone mit R“ (könnte auch ein verwaschenes „B“ sein. Darunter ein „H mit einem Sternchen“.
Hier die möglicherweise in Frage kommenden deutschen Beschußstempel.

Das Inspecteur- oder Kontrolleurs- „H‘ ist unter deutschen Zeichen jedoch nicht zu finden und deutet auf Belgien.

In diesem Fall könnte es sich um ein „B“ handeln, sofern nicht noch weitere Stempel auf der Waffe aufzufinden sind. Aber auch in diesem Fall wäre der Revolver nicht in Deutschland hergestellt worden. Belgien rückt also wieder in den Focus.

Nach weiterer intensiver Internetrecherche, wurde über Vergleichsfotos ein möglicher anderer Ort für die Aufbringung von Abnahmen ermittelt. Und tatsächlich: durch die Ladeklappe verdeckt, befinden sich an der Ladeöffnung der Revolvertrommel weitere Stempel.

Hier handelt es sich eindeutig um einen belgischen Beschußstempel. Auch das „H mit Krone“ des Inspekteurs ist dort wieder zu finden.
Nun passen auch die anderen Beschußstempel zusammen. Auch hier handelt es sich also um belgische Beschußstempel (R unter Krone). Im Skizzenvergleich fällt nun auf, dass sich die „R“-Stempel in der Form der Krone zudem unterscheiden.
Festgestellt wird somit, dass der „Bulldog“- Revolver in Belgien hergestellt wurde. Dort wurden die ursprünglich britischen Bulldog in den unterschiedlichsten Kalibern kopiert. Das war auch nicht sonderlich schwierig, fertigte man doch schon Rohteile für Webley, wie eingangs erwähnt. Es wurden von der ursprünglichen Version zudem etliche Abarten für den internationalen Markt gefertigt. Die belgische Fertigung lief in etwa von 1893 – 1914, als Lüttich deutsch besetzt wurde.

Irritierend ist die Nummerierung des Revolvers. Neben der Seriennummer 3076, welche recht krumm in den Rahmen geschlagen wurde, weisen alle Teile eine „9“ auf. Diese entspricht nicht der Serienendnummer.
Zur Seriennummer muss man wissen, dass vielfach Büchsenmacher, auch außerhalb Belgiens, oder kleinere Firmen sich die Teile vorfertigen ließen und eigene Nummerierungen nachträglich durchführten. Insgesamt wurden wohl über 100.000 Bulldog-Revolver verschiedenster Ausführungen gefertigt. Oft erfolgte auch keine Herstellerangabe auf den Waffen.

Die „9“ als interne Revolverteilenummer erklärt sich ebenfalls durch die Montagevergabe an Subunternehmen. Die Fertigung ist mit heutiger Serienherstellung nicht vergleichbar, wo alle Teile verschiedener Waffen des gleichen Modells untereinander austauschbar sind. So mussten die gelieferten Einzelteile nachgearbeitet und aneinander angepasst werden. Die meist wenigen zur Fertigstellung weitergegebenen Stücke wurden nach der Anpassung und Montage nochmals intern nummeriert, vermutlich pro Waffe eine gleichlautende Nummer auf allen Teilen, damit beim erneuten Zerlegen und anschließender Endbearbeitung (Brünierung…) alle Einzelteile der Waffe beieinander blieben.

Das vorliegende Stück weist eine zusätzliche Sicherung auf, was eigentlich bei einem Revolver nicht notwendig ist, aber insbesondere in Deutschland favorisiert wurde. Man denke hier nur einmal an die beiden durch eine Kommission entwickelten Reichsrevolvermodelle 1879 und 1883.

Somit liegt, i. V. m. der Buchstabenkennung „G.C.D“ (Bild oben) die Vermutung nahe, dass es sich möglicherweise um einen deutschen Polizeirevolver aus dem Ende des 19./Anfang 20. Jahrhunderts handelt. Die Buchstabenkennzeichnung auf der linken Rahmenseite „G.C.D“ kann als „Gendarmerie Corps Dresden“ interpretiert werden. Also möglicherweise eine Waffe für die Rocktasche eines Gendarmen. Leider sind aus dieser Zeit keine konkreten Kennzeichnungsvorschriften mehr bekannt, die diese Interpretation exakt belegen könnten. Es könnte somit auch noch eine andere bisher unbekannte Behördenkennung sein. Beratungen mit anderen fachkompetenten Sammlern führten ebenfalls zu dem Ergebnis, dass eine Firmenbezeichnung in Form  der drei Buchstaben ausscheiden dürfte, da diese nicht exakt zueinander ausgerichtet sind. Zum Herstellungszeitpunkt war das „Aufrollen“ eines Herstellerstempels schon geläufig, was zu einem akkurateren Bild geführt hätte.

Zudem war eine große Zahl ohne jegliche Herstellerbeschriftung.

Nachfolgende Angebotsschreiben, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Detlef Völkel (PP Duisburg) belegen ebenfalls die Verwendung von „Bulldog“-Revolvern:

Während der Büchsenmacher Bernhard Scheuffler neben eigen gefertigten Revolvern im Kal. 9mm auch auf „limitirte Polizei Revolver“ aus Fremdfabrikation und bereits getätigte Lieferungen an verschiedene Polizeien verweist, bietet die Hamburger Firma „Fritz Magnus Junior“ explizit „Bulldog“-Revolver an, wenn auch hier in einem anderen Kaliber.
Die Abbildung entspricht jedoch dem hier beschriebenen Stück. Es ist nicht bekannt, ob das Angebot zum Verkaufserfolg führte.
Interessant ist noch, dass es für die allen Orten angebotenen „Bulldog-Revolver“, auch bei absolut baugleichen, keine einheitlichen Verkaufs- oder Typenbezeichnungen gab. Hier waren die Namen der Fantasie des Anbieters überlassen. So gab es in deutschen Katalogen sogar ein „Berliner Polizei-Modell“.

Die beiden Auszüge aus dem Katalog der Firma H. Burgsmüller & Söhne aus dem Jahr 1914 (??) zeigt zwei Ausführungen des „Berliner Polizei- Revolver“, ebenfalls Bulldog-Versionen in Kal. 9 mm. Während das Modell 4835 eine Händlerbeschriftung aufweist, ist die Ausführung 4774 wieder ohne.

Eine Verwendung „ausländischer“ Kurzwaffen bei der Polizei ist für jene Zeit nicht ungewöhnlich, da man das kaufte, was der Markt anbot. So sind z.B. auch belgische Pistolen FN 1900 mit deutscher polizeilicher Kennzeichnung bekannt.

Nachdem somit der Revolver klassifiziert und eingeordnet wurde, wird er in den Sammelfundus des Besitzers eingereiht und für die Nachwelt konserviert. Damit ist er für die Öffentlichkeit aber nicht verloren, steht er doch bei entsprechenden Anlässen für öffentliche Ausstellungen oder Publikationen zur Verfügung.

An dieser Stelle möchte ich mich noch ausdrücklich für die Rechercheunterstützung durch Stefan Rudloff und Wolfgang Dicke bedanken!

Fotos der Waffe: Wolfgang Dicke