Bild links: Saizew(1.v.l.) und zwei weitere russische Scharfschützen. Rechts: Bild eines deutschen Scharfschützen. Die Aufnahme entstand vermutlich im September 1942 in Stalingrad. (Quelle: Wikipedia / Bundesarchiv, Bild 169-0526 / CC-BY-SA 3.0).

Wassili Grigorjewitsch Saizew (Vasilij Grigor‘evi Zajcev) –
1942/43 Scharfschütze in Stalingrad, Held des Vaterlands und/oder Massenmörder?

 

Beitrag von Dr. André Kruth, Erftstadt

2001 behandelte der Regisseur Jean-Jacques Annaud in seinem Film „Duell – Enemy at the Gates” das Duell zweier Scharfschützen während der Schlacht um Stalingrad 1942 / 43. Während die Figur des deutschen Scharfschützen Major Erwin König fiktiv scheint und vermutlich auf eine russische Propagandaerfindung zurückgeht, beruht die Figur des russischen Scharfschützen Wassili Saizew (* 23. März 1915 in Jeleninskoje, Gouvernement Orenburg; † 15. Dezember 1991 in Kiew) auf einer historischen Vorlage.

Saizew, der Hirtensohn aus dem Ural, erlernte in frühester Jugend den Umgang mit dem Gewehr. Nachdem er zu Beginn des Krieges gegen das Deutsche Reich zunächst in der Marineverwaltung eingesetzt war, meldete er sich 1942 zum freiwilligen Fronteinsatz und wurde dem 1047. Schützenregiment der 284. Schützendivision zugeteilt, welche als Teil der 62. Armee die Stadt Stalingrad an der Wolga verteidigte.

Die Schlacht um Stalingrad und die Einkesselung der 6. Armee unter General Feldmarschall Paulus sind das Symbol für den Wendepunkt des 2. Weltkriegs. Hier kam der deutsche Vormarsch 1943 nicht nur zum Erliegen, sondern hier begann der Rückzug der Wehrmacht, an dessen Ende die Eroberung Berlins durch die Rote Armee stand, mit welcher der Krieg in Europa beendet wurde.

Saizew wird gerne mit den Worten zitiert: „Es gibt kein Land für uns hinter der Wolga.“ Damit drückte Saizew seine kompromisslose Haltung zum Widerstand gegen die deutschen Armeen aus. Er war sich bewusst, dass die rote Armee in Stalingrad die Entscheidung an der Ostfront herbeiführen musste.

Laut den offiziellen sowjetischen Angaben soll Saizew zwischen dem 10. November und dem 17. Dezember 1942 225 deutschen Soldaten getötet haben. Laut seinen eigenen Angaben nahm er bis zum Januar 1943 weitere 27 deutsche Soldatenleben. Russische Kriegsberichterstatter dokumentierten innerhalb der ersten zehn Tage nach der Verlegung seiner Einheit an die Wolga bereits 40 Tötungen.

Des Weiteren soll Saizew in einer alten Chemiefabrik „Lazur“ weitere 28 Scharfschützen ausgebildet haben, denen die russische Seite insgesamt um die 3000 Tötungen zuschreibt.

Laut Saizews Biographie kam es in Stalingrad zu einem Zusammentreffen mit einem „sehr fähigen“ deutschen Scharfschützen. Diese Begebenheit nutzte die russische Propaganda aus und erfand die Geschichte eines mehrtägigen Duells mit einem deutschen Major König. Auf deutscher Seite gibt es keine Belege für den Wahrheitsgehalt der Geschichte. Die Existenz eines Scharfschützen Major König kann nicht belegt werden. Außerdem war es unüblich, dass deutsche Offiziere als Scharfschützen kämpften. Es wurde bei der Wehrmacht als dem Rang eines Offiziers unwürdig angesehen und widersprach dem gängigen Ehrenkodex sich als Scharfschütze zu verstecken und aus dem Hinterhalt zu töten. Diese Art zu kämpfen blieb den Mannschaftsdienstgraden vorbehalten.

Die russische Propaganda stilisierte Saizew zum Kriegshelden und am 22. Februar 1943 wurde er demzufolge zum „Helden der Sowjetunion“ ernannt. Trotz einer vorübergehenden Verwundung durch eine Landmine zu dieser Zeit blieb Saizew bis 1945 im militärischen Dienst und durchlief eine Karriere bis zum Rang eines Hauptmanns. Weitere Auszeichnungen, die er erhielt, sind der Leninorden, der Rotbannerorden, der Orden des Vaterländischen Krieges (1. Klasse), die Medaille „Für die Verteidigung Stalingrads“ und die Medaille „Sieg über Deutschland“.
Nach dem Ende des Krieges wurde Saizew Leiter einer Firma in Kiew. Dort lebte er bis zu seinem Tod 1991.

Die Waffen der Scharfschützen von Stalingrad
Sowohl bei der Roten Armee mit dem Mosin-Nagant-Gewehr als auch bei der Deutschen Wehrmacht mit ihrem Karabiner K98k (kurz) nutzten Scharfschützen Repetiergewehre, die verkürzte Varianten von Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Gewehren darstellten. Das sowjetische Gewehr nutzt die Randpatrone 7,62 x 54 R, während der deutsche Karabiner die Patrone 7,92 x 57 IS mit Auszieherrille verschoss. Beide Repetierwaffen bzw. ihre längeren Vorgängerversionen hatten bereits im 1. Weltkrieg gedient. Beide Gewehre verfügen über ein fest eingebautes Magazin für fünf Patronen.

1891 entschied sich das Militär des zaristischen Russlands nach vorangegangenen Tests für das von Sergei Mosin entwickelte Gewehr mit einigen wenigen unwesentlichen Modifikationen entsprechend den Merkmalen des ebenfalls getesteten Gewehrs des belgischen Konstrukteurs Léon Nagant. Der mit seinem Gewehrentwurf unterlegene Nagant reichte ein Patent für den (von Mosins Entwurf „entliehenen“) Unterbrechermechanismus ein und beanspruchte die vom Militär ausgeschriebene Entwicklerprämie für das Gewehr für sich. Mosin konnte als russischer Militärangehöriger keine Patente einreichen. Zudem war das Gewehr nach russischem Recht dieser Zeit ein militärisches Geheimprojekt. Man beendete den Streitfall dadurch, dass beiden Konstrukteuren dieselbe Prämie ausgezahlt wurde. Das Mosin-Nagant-Gewehr ist auch unter dem Namen 3-Liniengewehr bekannt. „Linien“ sind eine alte Maßeinheit für Kaliber und 3 Linien entsprechen exakt 7,62 mm. Die offene Brücke der Systemhülse des Mosin-Nagant-Gewehrs erinnert an das System Mannlicher. Der Verschluss hat zwei Verriegelungswarzen am vorderen Ende. Zusätzlich dient der Kammerstengel als dritte Verriegelung im System.
Zwischen 1891 und 1944 durchlief das Mosin-Nagant-Gewehr zahlreiche Modifikationen: Die ursprüngliche Rundkopfpatrone wurde durch ein Spitzgeschoss ersetzt (1908-1910). Das erforderte eine veränderte Visierung. Ebenfalls verlangte der ab 1938 ohne Bajonett vorgenommene Beschuss eine modifizierte Visierung. Ab 1938 wurde auch eine Karabinerversion (M38) mit 51 cm Lauflänge in großer Stückzahl gefertigt. Eine erste Karabinerversion gab es schon zuvor, aber der frühe Karabiner (M07) ist nur in geringer Stückzahl gefertigt worden, was ihn heutzutage als Sammelobjekt interessant macht. 1944 wurde das Gewehr mit einem seitlich abklappbaren Dreikantbajonett ausgeliefert. Während seiner Entwicklungsgeschichte durchlief das Gewehr außerdem mehrfach Produktionsvereinfachungen. So musste z.B. der ursprünglich achteckige Querschnitt  des Systemgehäuses einem Gehäuse mit rundem Querschnitt weichen.

Der Kammerstengel eines Scharfschützen-Mosin-Nagant (M92/30) unterscheidet sich von der Standardvariante durch eine Verlängerung und durch die nach unten abgewinkelte Form. Dies ist nötig um das Repetieren bei montierter Zieloptik vom Typ PU bzw. PE zu ermöglichen. War das Zielfernrohr montiert, konnte das Gewehr nicht mehr mit Ladestreifen aufmunitioniert werden (vgl. mit dem US amerikanischen Springfield M1903A4 Scharfschützengewehr).

Das Mosin-Nagant-Gewehr wurde in einer Anzahl von rund 37 Millionen Stück produziert. Nach dem 2. Weltkrieg lieferte die Sowjetunion Gewehre dieses Typs an nahezu alle Bündnispartner des Warschauer Pakts, wo sie teilweise heute noch in den Arsenalen liegen. Die Patrone 7 x 54 R beansprucht für sich mit mehr als 120 Jahren den Rang der ältesten noch im Dienst befindlichen Militärpatrone.

Das deutsche 98er Gewehr (G98, 125 cm Länge) wurde bei der Firma Mauser in Oberndorf a.N. entwickelt und 1898 als Ordonnanzwaffe bei den Deutschen Streitkräften eingeführt. Die Brücke der Systemhülse ist beim System Mauser geschlossen. Der Drehzylinderverschluss verriegelt mit zwei vorn und einer hinten liegenden Verriegelungswarze in der Systemhülse. 1908 wurde als verkürzte Version (110 cm Länge) der Karabiner K98a als Kompromiss  zwischen Leistung und Handlichkeit eingeführt. Dieser Trend setzte sich weiter fort. Zwischen den Weltkriegen wurde der Lauf wie beim K98a auf 60 cm gekürzt; und das Gewehr als der Karabiner 98k („k“ für kurz) wurde ab 1935 zur Standardwaffe der deutschen Wehrmacht. Karabiner des Typs K98a wurden teilweise adaptiert und weiterverwendet. Der Kammerstengel des K98a ist bereits standardmäßig nach unten abgebogen. Das Modell K98a hat erstmals im Kolben des Schafts den Metalleinsatz, der das Zerlegen und Zusammensetzen des Verschlusses erleichtert.

Zum Zubehör des K98k zählen zahlreiche Seitengewehrtypen wie z.B. das bekannte Modell 98/05, das ab 1942 ausgelieferte Gewehrgranatgerät Kaliber 30 mm oder das Zielfernrohr Zeiss ZF42 mit 4-facher Vergrößerung für Scharfschützen. Im Verlauf des 2. Weltkriegs wurde die Fertigung des K98k fortlaufend vereinfacht. So wurden z.B. die aus dem Vollen gearbeiteten gefrästen Beschlagteile durch Teile in schneller zu fertigender Blechprägetechnik ersetzt und der Nussbaumschaft wich einem Schichtholzschaft.

Das Mauser 98er System findet heute noch weite Verbreitung bei zivilen Jagdwaffen. Mit einer Gesamtproduktion von mehr als 100 Millionen Stück (ca. 12 Millionen K98k 1935-1945 für verschiedene Hersteller wie z.B. Mauser und Steyr) ist das Mauser System 98 eines der zwei am häufigsten verwendeten Verschlusssysteme für Feuerwaffen. Es hat Verbreitung nicht nur in Europa, sondern auch bis nach Mittel- und Südamerika und Iran gefunden.

Die Patrone 8 x 57 IS des K98 k (exakt 7,92 x 57 IS) wird auch gelegentlich als 8 x 57 JS bezeichnet, was streng genommen falsch ist. Zur Zeit der Entwicklung der Patrone wurde das „I“ im Deutschen ähnlich dem heutigen „J“ geschrieben und wird deshalb heute gerne falsch „gelesen“. „IS“ steht für „Infanterie Spitz“, weil die Patrone 8 x 57 IS um 1905 die Patrone M/88 (8 x 57 I „Infanterie“) mit Vollmantel-Rundkopfgeschoss ablöste.

Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wassili_Grigorjewitsch_Saizew
http://aloban75.livejournal.com/564228.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Mosin-Nagant
https://en.wikipedia.org/wiki/Mosin%E2%80%93Nagant
https://de.wikipedia.org/wiki/7,62_%C3%97_54_mm_R
https://de.wikipedia.org/wiki/Mauser_Modell_98
https://de.wikipedia.org/wiki/7,92_%C3%97_57_mm
https://de.wikipedia.org/wiki/Duell_%E2%80%93_Enemy_at_the_Gates
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article118847544/Der-heimliche-toedliche-Kampf-der-Scharfschuetzen.html

Die Repetiergewehre Mosin Nagant M92/30 PU (oben) und K98k mit ZF41 für Scharfschützen (unten).